Offener Brief zur Abwicklung der Denkmalpflege

Ungeachtet dessen, dass die Denkmalpflege bereits über 145 Jahre hinweg Teil unseres Nationalbewusstseins ist, hat die ungarische Regierung 2017 die Abwicklung der einzigen offiziellen Fachinstitution abgeschlossen: Sie schloss nun auch die Sammlungen, die die Grundlage jeder praktischen oder wissenschaftlichen Denkmalpflege bilden, nämlich das Plan-, Foto- und Dokumentenarchiv sowie die Bibliothek. Mit dem Ende dieser Institution, die immerhin für fachliche Begründetheit sorgte oder sorgen konnte, sind die Experten des Denkmalamtes, die alle bereits zuvor in die örtlichen Bauverwaltungen versetzt worden waren, in vollständige Abhängigkeit von der Politik und von Wirtschaftlichkeitsaspekten geraten.

Die Institutionen der Denkmalpflege konnten dank oder entgegen der ständigen Umgestaltungen seit der Wende 1989 nie die in sie gesetzten Erwartungen der Gesellschaft, der Kirchen und der staatlichen Verwaltung erfüllen. Die Fachleute waren sich hierüber im Klaren und erarbeiteten daher immer neue Konzepte und Strategien, die allerdings von den Entscheidungsträgern regelmässig ignoriert wurden.

Die vom staatlichen Denkmalamt übriggebliebenen, strukturell zersplitterten, zu koordinierter Arbeit unfähigen Dienststellen, verteilt auf Landkreisämter, Ministerialabteilungen und staatliche GmbH-s, sind heute nicht mehr geeignet, auch nur die grundlegenden Aufgaben der Denkmalpflege zu erfüllen, die nämlich nicht primär in der Zuarbeit zu staatlichen Prestigeprojekten liegen. Von den staatlichen Grundaufgaben, die im weiterhin gültigen, 2001 erlassenen Gesetz zum Schutz des Kulturerbes und den dazugehörigen Rechtsvorschriften beschrieben sind, ist im Wesentlichen nur das amtliche Verwaltungsverfahren geblieben. Eingestellt worden sind solche seit Anbeginn zur staatlichen Denkmalpflege gehörenden Aufgabenbereiche wie die Bestandsaufnahme all der unerschlossenen und unablässig schwindenden baulichen Werte, die fortwährende Überprüfung des geschützten Denkmalbestandes mit der darauf aufbauenden Abwicklung der Verfahren zum Löschen oder Erteilen des Schutzstatus oder die Zusammenstellung der Baudenkmalsverzeichnisse und Geländebeschreibungen. Sämtliche Fachzeitschriften und einschlägigen Buchreihen sind 2017 verschwunden, obwohl diese Ausgaben nicht nur für die Denkmalpflege zu den erstrangigen, auch internationale Anerkennung geniessenden Foren zählten. Für die Beschreibung und Vermittlung geschichtlicher, baugeschichtlicher und kunstgeschichtlicher Forschungen stellten sie einen ebensolchen Wert dar. Die eingangs erwähnten Sammlungen bildeten ein einzigartiges Archiv für alle zum architektonischen Erbe des Karpatenbeckens gehörenden Pläne und Forschungsmaterialien. Mit ihrer Schliessung wird eine seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bestehende Kontinuität unterbrochen.

Es gibt keinen fachlichen Nachwuchs mehr, erfahrene Experten mussten ihren Hut nehmen, auch das Praktikantensystem wurde nicht ausgebaut, obwohl es doch zu den Erfolgen der letzten Zeit gehörte, dass an mehreren Universitäten Studiengänge in der Denkmalpflege neu angeboten wurden. Weiterhin mangelt es an einem auch Privateigentümern zugänglichen verlässlichen System aus Vergünstigungen und Fördermassnahmen, wie es in anderen Ländern zu finden ist. Wer hierzulande vom Denkmalschutz betroffen ist, kennt nur die Last der Einschränkungen und Vorschriften. Das internationale Beziehungsgeflecht der ungarischen Denkmalpflege ist nicht mehr nutzbar, während doch noch vor kurzem die hier implementierte Forschungspraxis für die mitteleuropäischen Nachbarn beispielgebend war.

Es ist unsere feste Überzeugung, dass Ungarns bauliches Erbe integraler Bestandteil des gesamteuropäischen kulturellen Erbes ist. Seine Bewahrung und Weitergabe ist jedoch unter den jetzigen Bedingungen gefährdet. Wir fordern daher alle in- und ausländischen Partnerorganisationen, fachlichen Verbände und Vereine, wissenschaftlichen Institute und kulturpolitischen Gestalter auf, sich auf jeder Ebene für die Bildung einer erneuerten ungarischen Institution für Denkmalpflege einzusetzen.

Verein der Ungarischen Bauforscher

 

Diesen offenen Brief unterstützen:

Hungarian Society of Archaeology and Art History – Kunsthistorisches Komitee der
Ungarischen Akademie der Wissenschaften
Art History Committee of the Hungarian Academy of Sciences
Óvás! Verein